Pressekonferenz World of Alternatives 2000
Description: Amiga Aktuell Ausgabe 7/2000
Categories: [DE] Interviews
Link to this article: Select all
[url=https://amigafuture.de/app.php/kb/viewarticle?a=1822&sid=4248444906d537eb7e5851c294370dd7]Artikeldatenbank - Pressekonferenz World of Alternatives 2000[/url]
Die Pressekonferenz auf der World of Alternatives (von Martin Baute)
»Fast eine dreiviertel Stunde hat Bill McEwen in einem drückend heißen "Tagungsraum" (der aus einigen aufgestellten Plastikwänden, einem Pult und viel zu wenigen Stühlen bestand) über die Zukunft von Amiga gesprochen. Zu hören gab es da einiges. Also das Diktiergerät zurückgespult und das Wichtigste zusammengefaßt...
Nachdem der Beamer im fünften Versuch erfolgreich aus dem Standby geweckt war, legte McEwen mit viel Schwung und Humor los ("Wellcome to the Amiga sauna..."). Als erstes räumte er das Gerücht aus, Amiga wäre gegenüber Gateway in Zahlungsverzug. Amiga schuldet Gateway kein Geld. Mehr noch, Amiga hätte überhaupt keine Schulden.
Des weiteren wiederholte er die Vorstellung von Dean Brown (DKB) als Director of Hardware; dieser wäre verantwortlich, Referenz-Hardware herzustellen, an der sich interessierte Drittanbieter orientieren könnten. Bereits fertiggestellt wäre ein Spiele-Handheld, der intern von Amiga benutzt würde, um Interessenten aus dem Bereich der Consumer Electronic von den Fähigkeiten des neuen Betriebssystems zu beeindrucken. Basierend auf einem StrongARM mit 250 Mips, mit Anschluß für einen Sony Memory Stick und einem Farbdisplay macht das Gerät wohl eine recht gute Figur - und war nach einer Woche Entwicklungszeit fertiggestellt!
Geheimnisvoll gab sich McEwen beim neuen Vice President of Engineering, den man wohl erst am 10. Juli vorstellen wird, da er im Moment noch für eine andere Firma arbeitet - "one that is large, and is in trouble, you know..." (eine die groß und in Schwierigkeiten ist), dazu die Geste des Zerreißens...
Es folgten Informationen zu den Leistungsdaten der Tao Java-VM, die - so McEwen - 22x schneller in der Bearbeitung von Multimedia-Inhalten sei als jede andere JVM (!).
McEwen machte auch klar, daß er die Gemeinde nicht um Geduld bitten würde. Die Tatsache, daß die Messe stattfindet, daß sich die Zuhörer im (zugegebenermaßen zu kleinen) Raum drängten, wäre Beweiß genug, daß die Amiga-User Geduld hätten - seit fünf Jahren schon. Er machte aber auch klar, daß er und seine Mitarbeiter erst seit genausovielen Monaten daran arbeiten würden, die hoch gesteckten Erwartungen zu erfüllen.
Als ersten Beweis des Erfolges hatte McEwen Amiga SDKs zur Messe mitgebracht, die - wie er ausdrücklich betonte - noch sehr unvollständig wären und sich in erster Linie an den erfahrenen Entwickler wenden; der Endanwender wird noch einige Zeit auf ein greifbares Produkt warten müssen. So wäre z.B. noch keine Unterstützung für Sound, Streaming oder 3D-Grafik im SDK enthalten, diese würden später folgen (3D-Support z.B. in etwa zwei Monaten).
Zu dem immer schon kritischen Thema Marketing gab McEwen zu, daß ein VP of Marketing noch nicht eingestellt worden sei - er hielte es für wichtiger, zunächst einmal ein Produkt zu entwickeln, für das sich ein entsprechendes Marketing auszahlen würde; anstatt in "bester" Amiga-Tradition große Ankündigungen zu machen, die man dann nicht erfüllen kann.
Als nächstes sprach er die ursprünglichen Pläne an, eine Entwicklerbox als Kombination als Hard- und Software anzubieten. Aufgrund der negativen Reaktion der Amiga-User hat man sich anders entschieden - was eine Menge an Änderungen und zusätzlichen Programmen (z.B. Installationsskripts) notwendig machte. Nun hätte man die Software des SDK zum Verkauf freigegeben; die HW/SW-Entwicklerbox würde in etwa zwei Wochen folgen.
Amigas Ziel sei "Ubiquity in Computing": Handy, PDA, Multiprozessor-Server, ein neuer Desktop, eine neue Spielkonsole, alles unter dem gleichen Betriebssystem - soetwas hätte es noch nie gegeben.
Dabei wären Anwendungen voll skalierbar. Nachdem man sich als Entwickler entschieden habe, wo man die eigene Anwendung ansiedeln möchte, könne diese selbe Anwendung die "Food Chain" beliebig weit aufsteigen. Ein für einen Handheld geschriebenes Spiel würde also auch auf einem Mehrprozessor-Server laufen. Andersherum würde eine für einen Server geschriebene Anwendung allerdings nicht auf einem Handy laufen - oder besser, nur sehr, sehr langsam...
Vom Betriebssystem bereits unterstützte Prozessoren wären PPC, M.core, X86, StrongARM, ARM, SH/3,4,5, MIPS sowie eine Reihe weiterer Prozessoren, die man (noch) nicht bekanntgeben könnte, weil man unter NDA mit den Herstellern steht.
Anschließend sprach Bill von der JavaOne, einer Messe, die letzte Woche in San Francisco stattfand, und auf der die Tao-Group mit einem eigenen Stand vertreten war. Dieselbe Demonstration, die hier auf der Amiga-Messe gezeigt wurde, lief dort auf einer Sega Dreamcast, Set-Top-Boxen, einem StrongARM Notebook und einem x86er. Allein das hätte die Besucher magnetisch angezogen, und dann hätte man das Handy gezückt, auf dem trotz der geringen Leistung von 3,5 Mips ein Pole Position-Klon gespielt werden konnte. Dies wäre das gleiche Handy gewesen, mit dem Scott McNeilly (SUN) die Bühne der CES im Januar betreten hätte, "ich habe Ihnen gesagt, das wir eines Tages Java auf Geräten wie diesem haben würden" - nur, daß es nicht Suns Java-VM gewesen sei, die auf dem Handy gelaufen wäre...
Auch wäre Linux nicht das einzige Betriebssystem, das als Host für den neuen Amiga in Frage käme. Weitere Hosts wären Windows, WindowsNT, Linux, WindowsCE, QNX und OS/9 (einem OS von Microware, das auf Set-Top-Boxen Marktführer ist). Host-Unterstützung für iTron, Epoc, VxWorks und PalmOS sei in der Entwicklung und kurz vor der Fertigstellung.
Die Zusammenarbeit mit der Tao-Group beleuchtete McEwen in einem ganz neuen Licht. Es sei durchaus nicht so, daß man nur die Produkte von Tao nutzen würde. Vielmehr hätte man Zugriff auf 50 Entwickler bei der Tao-Group, um Dinge herzustellen, die von Amiga benötigt werden.
Weiter hätte man die BOOPSI-Bibliotheken portiert. Diese Portierung sei bereits abgeschlossen, man würde jetzt noch Tests und Optimisierungen durchführen. Die neue Skriptsprache (SHEEP) sei ebenfalls in den nächsten Monaten fertig - die Rechte an ARexx liegen bei einem Dritthersteller, daher hätte man eine neue Sprache entwickelt. Das Stichwort Renderware fiel ebenfalls, auch hierfür würde das neue OS vorbereitet sein.
Dann hatte Bill McEwen ein ganz besonderes Bonbon: Wenn die einzelnen Teile des Betriebssystems zusammengefunden haben, wird es den AmigaOne geben - einen neuen Multimedia-Desktop, entwickelt und designed by Amiga, wenn auch von Drittherstellern produziert. Mehr wollte McEwen so früh noch nicht sagen, der Weg dahin sei noch weit.
Bill McEwen fuhr mit seiner Präsentation fort, sprach über OEMs (also Drittfirmen, die in Zukunft neue Amigas bauen und herstellen sollen) und ISVs - letzteres sind Firmen, die zwar den neuen Amiga unterstützen wollen, aber im Moment ihre Aufmerksamkeit auf ihr Kerngeschäft richten müssen. McEwen sprach von elf solcher ISVs, die den Entwicklern bei Amiga ihre Quellcodes überlassen haben, da diese Firmen (noch) nicht bereit sind, eigene Entwicklerkräfte auf ein Amiga-Projekt anzusetzen.
Natürlich wurden auch die bereits bekannten Partner der Tao-Group genannt: Sun, Sony, Motorola, JVC und andere. McEwen empfahl, sich die letzte Presseerklärung auf der Tao-Webseite durchzulesen (über die Zertifizierung der Tao-Java-VM) - vor allem im Hinblick darauf, was für Leute in dieser Erklärung zitiert wurden. Amiga wäre mit jedem einzelner dieser Firmen in Verhandlungen.
Dann zeigte McEwen Bilder seines alten Büros, und Bilder vom neuen "Amiga-Hauptquartier". Dort befänden sich fünf weitere Firmen, die zum größten Teil High-End Elektronik zu Demonstrationszwecken herstellen - und deren Ausstattung man wohl umsonst benutzen könne.
Dann führte Bill McEwen einige Demos vor, die unter dem neuen Betriebssystem liefen, gehostet unter Red Hat Linux auf einem Notebook - wie er betonte, ohne Hardware-Beschleunigung (die ja im August folgen soll). Es ist schwierig in Worte zu fassen, aber was gezeigt wurde, waren blitzschnelle Java-Demos, ein paar 2D-Spiele, die altbekannte Boing-Demo, frei herumfliegende (und mit der Maus bewegbare) Boing-Bälle, ein Unicode-fähiger Browser, 2D-Filter, das transparente "Uhr"-Fenster (eine Uhr, die sich auf dem Bildschirm verschieben läßt, während man den Boing-Ball dahinter durch die Uhr hindurch greifen und bewegen konnte... das alles auf Linux aufsetzend, und ohne ein Ruckeln, egal was geschah. Nein, stimmt nicht, einmal habe ich ein Ruckeln gesehen - als McEwen ein zweites Mal das Betriebssystem in einem zweiten Fenster startete, hielt die Animation im ersten Fenster für den Bruchteil einer Sekunde an, um danach absolut flüssig weiterzulaufen - während McEwen noch einmal die gleiche Anzahl Demos im zweiten Elate-Fenster startete.
Insgesamt war die Demo angesichts des frühen Entwicklungsstadiums sehr beeindruckend; die Fotos können das nur zum Teil wiedergeben.
Über einige weitere Pläne konnte bzw. wollte McEwen nicht sprechen, verwies aber auf einen Artikel im Byte Magazine von 1994, auf den auf www.amiga.com ein Verweis zeigt. Diesen sollte man sich genau durchlesen; man hätte einige Dinge in Planung, die alles auf den Kopf stellen würden, was man über verteilte Rechnernetze (Distributed Computing) heute zu wissen glaube.
Zum Ende stellte sich McEwen den Fragen der Zuhörer.
F: Was wird mit dem Classic OS?
McEwen: Wir nutzen die Teile, wo immer das Sinn macht.
F: Wird es dafür eine Emulation geben?<
McEwen: Wir haben bereits einen lauffähigen Emulator. Die Tests wurden bereits durchgeführt, wir optimieren ihn jetzt damit er schnell läuft. Ihr kennt Brian King? Ihr wißt, wo er arbeitet? Er ist ein guter Mann, Brian. Er hilft uns. Also, wir arbeiten gerade daran, ihn schneller zu machen, er ist ein bißchen langsam. Wir sind also gerade in der Optimierungsphase. (Anmerkung des Autors: Brian King ist der Programmierer von WinUAE.)
McEwen: Bevor jemand fragt, Ihr werdet fragen, ob ich [das Classic OS] auf den PPC portieren werde. Nein. Ich sage Euch, warum. Ganz egal, mit wem ich gesprochen habe, R.J.Mical, Carl Sassenrath, Allan Havemose, jeder von denen hat in der Vergangenheit ein Auge darauf geworfen. Es ist eine Sache von 18 bis 24 Monaten, und sie alle zusammen stimmen überein das es nur zu 80% vollständig sein würde. Denn ich müßte den AGA-Chipsatz neu entwickeln, Agnus, Denise, all diese Dinge sind direkt in das OS eingebunden. Tatsächlich war das größte Problem für Havemose beim Build der 3.1 die ganzen Fehler in diesen Chips, auf die man achten mußte. So wäre es für uns im Moment zu kostspielig, die Anstrengungen zu unternehmen, die nötig wären, um auf dem Markt Gewinn zu machen; wir müssen uns vorwärts bewegen. Es hilft mir nicht, überall zu sein. Es hilft mir nicht dabei, ein skalierbares Betriebssystem zu bauen, und das ist was wir zum Erfolg brauchen. Einfach ein weiteres System auf einem bestimmten Chip zu sein, ist nicht genug. Wir müssen zu Sony gehen können, zu Panasonic, zu all diesen Leuten, und sagen können "wählt Euren Chip".
F: (Schlecht zu verstehen, Frage über die Hardware-Anforderungen des SDK, ob es ein spezieller Prozessor sein muß.)
McEwen: Das SDK... wenn Du Red Hat Linux fahren kannst, sollte alles in Ordnung sein. Wir haben es unter Red Hat und Corel getestet. Da sollte alles in Ordnung gehen.
F: Wird es auch auf dem Amiga laufen?
McEwen: Nicht im Moment, nein. Wir haben nichts auf dem 68000. Wir hoffen, mit unseren Freunden zusammenarbeiten zu können, so daß, wenn Du PPC hast, auf dem bekannterweise Linux läuft, Du darauf aufsetzen kannst. Und wir werden native auf den PPC-Karten laufen können. Das ist im Moment eines unserer größten Probleme, Ihr habt Zusagen von Leuten erhalten, und nichts passiert.
F: Planen Sie das Design der Schnittstelle zu ändern?
McEwen: Sie ist entworfen mit einer Flexibilität ähnlich wie heute, so daß Ihr sie einstellen könnt wie Ihr sie wollt. Es wird verschiedene Vorgaben geben, da ein Amiga-User wahrscheinlich die Workbench als Vorgabe haben will, aber andere Kunden es anders haben wollen. Ihr bekommt die Vorgaben, mit der Freiheit, sie beliebig zu ändern.
F: (nicht zu verstehen) McEwen: Wenn man Linux auf einer PPC-Karte in einem Amiga fährt, richtig? Wir haben es noch nicht ausprobiert, aber die beiden Hersteller haben das und sagen, es würde laufen.
F: (nicht zu verstehen)
McEwen: Nicht mit dem ersten Build, nein. Ein Teil des Problems sind die Tools, die Tools die man braucht, um es zu benutzen. Wir haben im Moment zwei Firmen, die daran arbeiten, eine IDE speziell für uns herzustellen, so daß dies in Zukunft nicht mehr nötig sein wird. Es ist noch nicht alles hier drin (SDK), wir wissen das, und manche Dinge werden sich sicher noch ändern. Allerdings fanden wir es wichtig genug, das die Leute lernen, in VP zu programmieren und einige Änderungen. Chris Hinsley, der das hier entworfen hat, ist, wie Ihr wißt, jemand aus der Amiga-Spieleszene; und ich denke, Ihr werdet genau wie die meisten anderen, die damit herumgespielt haben, herausfinden, das es in vielerlei Hinsicht sehr große Ähnlichkeiten damit hat, wie wir heute programmieren. Also wird es eine sehr schnelle Lernkurve sein, aber es wird eine Lernkurve geben. Wir wollen es unter die Leute bringen, damit sie anfangen können, damit zu arbeiten, es zu benutzen, mit dem Programmieren einiger Anwendungen anfangen. Sich damit bekanntmachen können, so daß wenn die anderen Teile hinzukommen, man in der Lage ist, sehr viel schneller zu reagieren.
F: (schlecht zu verstehen, eine weitere Frage zur Kompatibilität mit alten Anwendungen)
McEwen: Wir haben in der Tat schon einen lauffähigen Emulator. Er ist nicht in diesem Build, weil wir noch Optimierungen vornehmen. Tatsächlich untersuchen wir auch eine Hardware-Lösung hierfür.
F: Kann das gesammte SDK auf einem Amiga PPC genutzt werden?
McEwen: Neineinein. Was hier drin ist, ist gemacht, um mit Red Hat oder Corel auf einer x86 Plattform zu laufen, OK? Wenn es vollständig ist, und man ein ausführbares OS laufen hat, ist alles fein, es wird laufen. Nochmal, wir haben es bisher noch nicht ausprobiert, laut einiger Dritthersteller kann es auf einem PowerPC-Beschleuniger in einem Amiga laufen, solange Linux vorhanden ist. Wir haben es noch nicht ausprobiert, also werde ich Euch nicht sagen, ja es geht. Wir wollen es erst testen. Wir haben zwei Maschinen im Haus mit denen wir es ausprobieren.
F: (schlecht zu verstehen, eine Frage über die zu erwartende Verfügbarkeit von Software für das neue System)
McEwen: Wir haben bereits Zusagen für 131 Anwendungen.
F: Auch Spiele?
McEwen: Die meisten davon sind Spiele. Da gibt es eine sehr große indische Firma, die eine Menge mit interaktiven Spielen macht [...] man hat uns bereits Zusagen gemacht, und sie werden alle ihre Spiele auf den Amiga bringen. Sie selbst haben 63 Spiele, alles interaktive Multiuser-Spiele über das Netz.
F: (nicht zu verstehen)
McEwen: Oh, oh, die Multiple Screens? Ja, die sind in Ordnung. Was Ihr heute seht, von einem visuellen Standpunkt aus, könnt Ihr weiterhin haben, OK? All die mehrfachen Ebenen, etc., das ist alles drin.
Vielen Dank!
Vor dieser Präsentation hatten bereits zwei andere stattgefunden. Zur ersten, um elf Uhr, war ich noch unterwegs auf der Autobahn. Zur zweiten Präsentation war der Vorführungsraum bereits überfüllt, doch konnte ich mein Diktiergerät nah genug am Podium deponieren, um noch aufzuschnappen, daß Sun das Amiga SDK wohl bei den eigenen Entwicklern als Java-Umgebung der Wahl bewerben wird.
Martin Baute